artist book Agnes Lammert
2018
Graphic Design und Fotos: Camille Le Lous
Text: Mirjam Schaub
Falten. Würfe mit Aplomb
Zu einigen Skulpturen von Agnes Lammert
Ungewöhnlich ist vieles. Die Farbigkeit des Betons, selten so schwarz gesehen. Die Oberfläche der
Bronze, mit einem Brenner dunkler geflämmt. Die aus Wachs modellierte und wie mit Asche
eingefärbte Landschaft, aus der hölzerne Baukräne wie ein Mahnmal ragen.
Darunter ein Zelt, das zur Beute von etwas wurde, hochaufragend zwar, doch stolz nur auf den ersten
Blick. Auf der Oberfläche zeichnen sich Spuren von Platzregen ab. Hier, so fürchtet man, waren
Kräfte am Werk, die wiederkehren werden.
Am ungewöhnlichsten aber sind die Falten, welche die ramponierte Zeltplane wirft. Falten, die sich
aufstauen, auftürmen, zusammenbrauen wie die Winde, die an ihnen zerren. Nur, dabei bleibt es nicht.
Wer sie genauer betrachtet, versteht schnell, dass es Falten jenseits der physikalischen
Wahrscheinlichkeit sind, die hier ihr skandalöses Eigenleben führen. Als würden sie von unsichtbarer
Hand geführt, mal ruckartig, mal sacht dirigiert wie eine Orchesterpartitur.
Dürfen Falten das, so selbstständig, so laut werden? Sich ausladen, ergießen, emporwachsen, im Raum
verlieren, wie die Kleider einer Riesin, die versehentlich ein Erdloch verschluckte, weil ein Kind
vergaß, die Buchseite umzublättern?
Die Bewegung dieser Falten kann von allen Himmelsrichtungen her Fahrt aufzunehmen. Im Fall von
Mud, einer voluminösen Betonskulptur (110 x 270 x 100 cm), scheint sie von Innen her zu kommen,
etwas Schweres, dabei überraschend Unbestimmtes, – nicht unförmig –, entfernt an einen Globus mit
Trotter erinnernd, schleppt sich ächzend vom Sockel, dabei eine Zeltplane geräuschvoll mit sich
schleifend.
Wer Tomi Ungerers Das Biest des Monsieur Racine kennt, hat hierzu sofort eine Assoziation: Dieses
Biest ist auf nächtlicher Birnenjagd …
„Es war ungefähr so groß wie ein junges Kalb“, heißt es bei Ungerer: „Von weitem sah es aus wie ein
Haufen Wolldecken. Lange sockenartige Ohren hingen beidseits des Kopfes herunter. Augen schienen
nicht vorhanden. Die zerzauste zottige Mähne scheitet sich über der schlaffen Schnauze. Die Füße
glichen Stummeln, die Knie waren ausgebeult. Es gab keinen Laut.“
Bei Ungerer gelingt die Zähmung des Biests durch das Reichen von Makronen auf einer Säbelspitze.
Bei Lammert werden die Säbel gleich mit verschlungen.
In fast all ihren Skulpturen spielen Stangen, Lanzen, Spieße, Gerüste eine tragende Rolle. Doch
zwischen einem Gestänge, das Halt gibt und einem, das den Zerfall einlädt und beschleunigt, liegt ein
schmaler Grat, das weiß jeder, der je sein Herz an seinen Regenschirm hängte – und verlor.
Wie in Beton oder Bronze eine Form schaffen, die nicht durch Abtragung, sondern durch
konstruktiven Aufbau entsteht – damit dynamisch und unberechenbar bleibt, indem sie den Gesetzen
der Schwerkraft zu trotzen scheint?
Lammert verhandelt dies, indem sie den Blick der Betrachter_innen auf die Vielzahl der selbst nicht
einsehbaren ‘Innenräume’ der Skulptur lenkt, auf die Dialektik des Einschlusses selber. Denn die die
sichtbaren Gestänge, welche Stoff, Zelt, Plane spitz nach außen drücken, erinnern unwillkürlich auch
an die nötigen Mittel zur Armierung der Skulpturen selbst, an die Gerüste aus Aluminium oder
Bronze, die den Guss stabilisieren oder der Wachsskulptur ein inneres Skelett geben sollen.
Immer geht es bei Lammert, die als Malerin ihre Ausbildung in Leipzig begann, um sie als
Meisterschülerin für Skulptur in Halle abzuschließen, darum, wie die produktive Ungeduld der
Zeichnung Eingang in das vergleichsweise langsamere, da widerständigere Material der gegossenen
Skulptur finden kann. Imitieren die Stangen im Raum die Striche und deren Winkelzüge auf der
Oberfläche? Ironisieren sie die dritte Dimension oder unterstreichen sie sie mit Aplomb?
Die Bewehrung, Armierung dieser Skulpturen bleibt für Lammert eine janusköpfige Errungenschaft:
Die sichtbaren Gestänge und wiederkehrenden Zeltgerüste, die sie nur zum Teil intakt, mehrheitlich
jedoch als instabil, verbogen, ja, ramponiert ausstellt, werfen die Frage nach der inneren Verfasstheit
der Skulpturen auf, nach der eines notwendigen Gerüsts unterhalb der Oberfläche.
Man ertappt sich dabei, dass man die Skulpturen nach den Überresten der inneren Armierungen
abtastet, während man zugleich den Impuls zu unterdrücken sucht, sie umzudrehen, um endlich
darunter zu schauen. Natürlich sind sie für derlei Späße zu schwer. Viel zu schwer.
In ihren Arbeiten dreht Lammert – wie mit leichter Hand und einem Lächeln, fein, wie das einer Katze
im Baum – den Schillerschen (Fehde-)Handschuh von außen nach innen, nachdem er nun einmal in
den Ring geworfen wurde.
Auch Wachs kommt wenigstens zweimal vor: als Modelliermasse, die beim Gießen schmilzt und als
verlorene Form ein Nachleben nur in der Erinnerung führt; aber eben auch als fertige, aschfarbene,
endzeitliche Skulptur, der nun eine verborgene Gipsschicht im Innern Halt gibt. Denn schmelzen
können Lammerts Wachsarbeiten, sobald sie Licht der richtigen Jahreszeit ausgesetzt sind. Das Risiko
bleibt real, am Ende vor einem Skelett aus Gips zu stehen, in dem das Wachs in die Unförmigkeit
zurück verschwand.
Inmitten des scheinbar realistischen Szenarios einer Baugrube, einer Abraumhalde, sind die
Lammertschen Faltenwürfe in Wachs, Beton und Bronze kreißende Protestnoten wider eine Logik der
Ausbeutung, der Konsumtion und der Perfektion. Sie werben für eine Ökonomie der Ungeduld, für die
Rationalität des Improvisierens, für die Passionen des Unbehausten.
Wer haust in diesen Zelten, in denen das Innerste und Verborgene einer Skulptur selbst nach Außen
strebt? Was trotzt hier welchen Gewalten? Niemand, der fürchtet, sein Leben in einem Löwengarten zu
lassen, schätze ich.
Mirjam Schaub